Die  Geschichte des Paderborner
Blinden- und Sehbehindertenvereins
 

Anfang der 1820er-Jahre entwickelte der blinde Franzose Louis Braille in Paris die Blinden-Punktschrift, die sog. Brailleschrift, die sich letztendlich weltweit behaupten konnte, obwohl die sehenden Blindenschullehrer in Frankreich eine Reliefschrift durchsetzen wollten, die sich an die Buchstaben der Sehenden anlehnte, nach dem Grundsatz: Die Minderheiten müssen sich der Mehrheit anpassen. Erst diese Braille-Punktschrift hat eine breit angelegte Blindenbildung ermöglicht und war eine wesentliche Voraussetzung für die spätere Organisation der Blindenselbsthilfe.

So bildeten sich Ende des 19. Jahrhunderts zunächst zögernd, später jedoch immer häufiger Selbsthilfeorganisationen, die sich innerhalb ihrer Gemeinschaft um die Anliegen der Blinden kümmerten. Der erste bekannte Blindenverein wurde 1874 in Berlin gegründet.

In den Nachfolgejahren bildeten sich bald hier, bald dort gleiche Interessensgemeinschaften, und 1912 wurde der Reichsdeutsche Blindenverband (RBV) gegründet.

Dadurch wurde auch unter den Heimbewohnern der von der Ordensfrau Pauline von Mallinckrodt 1847 in Paderborn gegründeten “Blindenanstalt”, die einen schulischen, einen Ausbildungs- und einen Werkstattbereich umfasste, das Interesse für einen eigenen, unabhängigen Blindenverein nach dem Vorbild anderer, bereits gut funktionierender Selbsthilfeorganisationen geweckt. So wurde am 1. Mai 1913 der Paderborner Blindenverein unter dem Namen "Eintracht" ins Leben gerufen. Von den acht Gründungsmitgliedern lebten sechs im Wohnheim der Blindeneinrichtung, und es war damals noch ein reiner Männerverein. Erster Vorsitzender wurde der in der Blindenschule tätige Musiklehrer Anton Hilke. Sein Nachfolger wurde 1916 der ebenfalls in der Blindenschule tätige Musiklehrer Engelbert Dirx. Seine leitende Tätigkeit für „Eintracht“ dehnte sich bis zum Jahr 1928 aus. 

Waren es zur Zeit der Gründung nur acht Mitglieder, so wuchs die Anzahl jetzt stetig an. 1921 trat Anna Wiesing als erste Frau dem Verein bei. Ebenfalls 1921 wurde in Soest der überregionale Westfälische Blindenverein e.V. gegründet, dem sich „Eintracht“ als eine der vielen untergeordneten Bezirksgruppen sofort anschloss. Jetzt erst konnten mit einem solchen Großverein eine bessere organisatorische Arbeit geleistet und damit die Fürsorge- und Betreuungsaufgaben erheblich erweitert werden.

Mitte der 20er-Jahre gehörten die Kreise Höxter, Warburg, Büren und Lippstadt noch zum Paderborner Blindenverein. Doch 1928 kündigten die Höxteraner ihre bisherige Mitgliedschaft und bildeten von nun an eine eigene Bezirksgruppe.

 

In der Zeit der Machtausübung durch die Nationalsozialisten unter Hitler ab 1933 und des Zweiten Weltkriegs ab 1939 ging das Interesse der Mitglieder für den Verein spürbar zurück. Die Ursache lag in verschiedenen Anordnungen und Maßnahmen der Machthaber, die sich in der Hauptsache gegen die Arbeit der Ordensschwestern in der Blindenschule richteten. Im Jahr 1940 wurde die Paderborner Blindenschule aufgelöst, und alle Schüler mussten nach Soest in die dortige Blindenschule übersiedeln, von wo sie erst im Mai 1946 wieder zurückkehren konnten. So erlahmte im Verlauf des Krieges die Vereinsarbeit mehr und mehr und kam 1945 fast ganz zum Stillstand.

 

Nach dem Ende des Krieges bestand daher die dringende Notwendigkeit, den Verein wieder aufzubauen, nach anderen Gesichtspunkten zu organisieren und die Arbeit neu zu beleben. Den ersten Vorstoß hierzu unternahm die Leitung des Westf. Blindenvereins und hier ganz besonders Karl Trippe, der nun im Auftrag des Landesvereins die bisherigen Mitglieder persönlich ansprach und für die Mitarbeit gewinnen konnte. Auch in den Kreisen Warburg und Lippstadt entstanden nun eigene Gruppen, während die Mitglieder aus dem Kreis Büren ihre Treue zu Paderborn bewahrten und bis heute zum Paderborner Blinden- und Sehbehindertenverein gehören. Zahlenmäßig bildeten auch jetzt noch die Heimbewohner im Verein einen Überhang, doch die Anzahl der Frauen gegenüber den Männern war inzwischen weitaus größer.

Im Jahr 1981 übernahm mit Anneliese Palmer erstmals eine Frau den Vorsitz. Die Beratung und Betreuung der Späterblindeten lag ihr ganz besonders am Herzen. Ihr Nachfolger wurde 1990 Konrad Schulte, der bis zum Frühjahr 2018 gemeinsam mit seiner Frau Christa den Verein mit großem persönlichem Einsatz leitete. Seine Amtszeit war mit 28 Jahren die bisher längste innerhalb der Vereinsgeschichte, und viel Neues ist unter seiner Leitung in unserem Verein entstanden: Ein monatliches Treffen mit Kaffeetrinken und abwechslungsreichem Programm, ein monatlicher Stammtisch, eine wöchentliche Sportgruppe, eine Wandergruppe und vieles mehr.

 

Unsere Selbsthilfeorganisation hat sich in den vergangenen 100 Jahren ständig verändert und weiterentwickelt sowie sich den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten und Herausforderungen gestellt. Seit ein paar Jahren bilden die Sehbehinderten eine weitere Zielgruppe unseres Vereins, da die Probleme, Sorgen und Zukunftsängste dieses Personenkreises mindestens genauso groß wie bei blinden Menschen sind.

Im Jahr 1997 hat der Verein daher seinen Namen geändert und die Sehbehinderten im Vereinsnamen ausdrücklich mit genannt.

So hoffen wir, dass auch in Zukunft blinde und sehbehinderte Menschen sich in unserem Verein gleichermaßen wohlfühlen, sich gegenseitig Perspektiven aufzeigen, einander ermutigen und Tipps und Anregungen austauschen können.